Honig ist ein Oberbegriff für eine wunderbare, aromatische Welt. Sicher kennst du Blütenhonig, Waldhonig, Akazienhonig und Co – aber Stadthonig? Normalerweise schreibt die deutsche Honigverordnung genau vor, dass der überwiegende Anteil (60 Prozent) eines Pflanzennektars im Honig aufzufinden sein müssen. Zumindest gilt das für Imker, die ihren Honig als Sortenhonig wie etwa Edelkastanienhonig oder Akazienhonig verkaufen möchten. In einem Lindenblütenhonig müssen also mindestens 60 Prozent Nektar der Lindenblüte nachweisbar sein. Im echten Fenchelhonig muss dementsprechend mindestens ein 60 prozentiger Anteil des Nektars aus der Fenchelblüte enthalten sein. Und was hat es mit der Stadt auf sich? Bedeutet dass, dass mindestens 60 Prozent der Bienen in der Stadt leben müssen? Bestimmt nicht. Stadthonig ist ebenfalls ein Oberbegriff, der eine mindestens ebenso spannende Story wie jeder andere Honig auch bietet.
Stadt vs Land
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Stadt ein Ort mit hoher Einwohnerdichte. Im ersten Moment mögen einem Städte wie Köln, Frankfurt, Hamburg oder München einfallen – dabei hat die Einwohnerzahl noch nicht einmal etwas mit der Bezeichnung Stadt zu tun. Die kleinste Stadt Deutschlands hat gerade mal 280 Einwohner und eine Fläche von 0,45 Quadratkilometer (Arnis in Schleswig-Holstein). Im Gegensatz dazu gelten kleinere, ländlich gelegene Ortschaften als Dörfer. Es sind Orte, in denen man auch mal mitten auf der Hauptstraße stehenbleibt, um einen ausgiebigen Schwatz zu halten. In den meisten dieser Dörfer hängt an mindestens einem Haus das Schild: Honig aus eigener Imkerei zu verkaufen. In der Stadt tauchen solche Schilder entweder nur in Randgebieten auf oder sie sind in Städten zu finden, die nach der allgemeinen Definition nicht als Stadt erkannt und eingeordnet werden. Bienen gehören aufs Land. Und nur da gibt es leckeren Honig, der zu den gesundheitlich wertvollen Lebensmitteln zählt.
Vermutlich würde jeder erstaunt schauen, wenn auf der Berliner Alexanderstraße plötzlich ein Schild “Honig aus eigener Imkerei” stehen würde. Dabei ist das überhaupt nicht unmöglich, denn es gibt Stadthonig. Und dieser muss sich keineswegs hinter “Landhonig” verstecken.
Honigerzeugung neben Fabriken und Autoabgasen?
Im ersten Moment mag man es sich nicht vorstellen: Wie soll es denn gesunden Honig geben, der inmitten stinkender Abgasluft und rauchender Fabrikschornsteine gewonnen wurde? Das ist die oberflächliche Sichtweise. Ein kleiner Blick unter die Oberfläche zeigt nämlich schon, dass Stadthonig tatsächlich keineswegs höher belastet ist. Messungen ergaben, dass der Wert der Belastung von Blei, Cadmium und anderen Substanzen weit unter dem Gehalt liegt, den die WHO ( World Health Organisation) für Trinkwasser festgelegt hat.
Misstrauisch nachgefragt
Rein von der Logik kann es eigentlich nicht sein, dass Stadthonig so wenig mit Schadstoffen belastet ist, sagt der gesunde Menschenverstand. Doch, sagt die Logik, wenn man sich etwas mit der Pflanzenwelt und den Umständen in der Stadt beschäftigt. Die Blühdauer einer Pflanze ist meist sehr kurz. Bienen haben also nicht viel Zeit, wollen sie die Quelle des Nektars erschöpfen. In dieser kurzen Zeitspanne schaffen es Schadstoffe kaum bis gar nicht, von dem Blütennektar aufgenommen zu werden.
Ein weiterer Aspekt ist die Natur an sich. Gelangen beispielsweise fettlösliche Schadstoffe in den Nektar, werden diese im Honigmagen der Biene sowie spätestens bei der Einlagerung in der Wabe entfernt. Das wichtigste Argument kommt wie immer zum Schluss: Fährt man über das Land, sieht man häufig Bauern, die ihre Felder spritzen. Fährt man durch die Alleestraße einer Stadt, sieht man vielleicht mal städtische Mitarbeiter, die lose Äste entfernen, aber Pestizide werden auf Stadtbäume nicht aufgebracht.
Urban Beekeeping
Ein Trend, der immer mehr Fahrt aufnimmt, zeichnet sich bereits seit einigen Jahren ab: „Urban Beekeeping“. Bienenstöcke mitten in der Stadt, auf Balkonen, auf Dächern oder in Vorgärten. Der Pariser Theater-Dekorateur Jean Paucton praktiziert es bereits seit 1985, seitdem fliegen Bienen von der Garnier-Oper aus los, um Pariser Parks, Bäume oder Alleen zu erobern. Auch in New York summen zahllose Bienen von Dächern aus los, um sich ihren Nektar inmitten der Stadt zu sichern.
Stadthonig – abwechslungsreicher Genuss
Stadtbienen finden reichhaltig Nahrung. Wo sich einige Kilometer außerhalb vielleicht Maisfelder finden, die zu Testzwecken genmanipuliert sein können, ist das in der Stadt undenkbar. Während der Blütezeit finden Bienen zahlreiche Pflanzen in Parks, Alleen, Gärten oder in Blumenbeeten. Stadthonig schmeckt deswegen nie gleich. Es hängt immer davon ab, wo die Bienen ihre bevorzugten Trachtgebiete zuerst finden. Ist es die prächtige Kastanienallee? Oder der großzügige Kurpark mit seinen knorrigen Linden? Oder haben sich die eifrigen Sammlerinnen heuer zuerst die mitten in der Stadt gelegene Kleingartenanlage ausgesucht, um sich an den blühenden Kräutern zu ergötzen? Vielleicht tummeln sie sich in einem verwilderten Garte oder auf einer Verkehrsinsel.
Stadthonig ist immer wieder neu, überraschend und immer eines: Ausgezeichneter Honiggenuss.
Landhonig ist nicht automatisch “sauber”
In der Flächennutzung geht es um Gewinn. Raps wird gezielt darauf gezüchtet, nur sehr kurz zu blühen. Maisfelder werden zu Testzwecke genmanipuliert. Insektenvernichtungsmittel sichern die Ernte, sorgen jedoch für ein Insektensterben und eine teilweise hohe Schadstoffbelastung. Die kurze Blühzeit in Verbindung mit Pestiziden und der immer geringer werdende Anteil von wilden Blumenwiesen sorgen dafür, dass es Landbienen nicht unbedingt immer besser haben.
Ist Stadthonig also besser?
Nein, pauschalisieren lässt sich hier überhaupt nichts. Viele Landimker produzieren hervorragenden Honig, der weder Pestizide noch sonstige schädliche Substanzen beinhaltet. Nicht jedes Rapsfeld ist automatisch eine kurz blühende Züchtung. Nicht jedes Feld wird automatisch mit Pestiziden vollgesprüht. So gelten viele Regionen wie etwa Norddeutschland, das Harzer Land, der bayerische Wald, der Pfälzer Wald oder der Schwarzwald als prägnante Beispiele für Naturbelassenheit. Es ist einfach nur wichtig, dass du auf die Herkunft deines Honigs schaust – ob beim Stadthonig oder beim Landhonig.